J.L. Carr: Die Lehren des Schuldirektors George Harpole

Als George Harpole für ein halbes Jahr die Schulleitung der St. Nicholas-Grundschule übernimmt, hat er zunächst nichts weiter im Sinn, als unbeschadet durch die Zeit zu kommen und sich für eine leitende Stellung zu qualifizieren. Doch immer wieder kommt es zu Zwischenfällen, die ihm eine Entscheidung abverlangen: Vernunft und Menschlichkeit oder sich die Karrierechancen zu erhalten.

Das Buch ist komplett in Tagebucheinträgen, Briefen und Kommentaren verfasst, das heißt, wir erleben die ganze Geschichte aus verschiedenen Sichten. Es ist zwar nicht ganz nachvollziehbar, weshalb eine unbenannte Person aus diesen Einträgen einen Bericht verfassen möchte, aber das muss man als Leser nun eben in den Bereich der gestalterischen Freiheit des Verfassers einordnen. Die unterschiedlichen Perspektiven, besonders wenn Schüler ein Erlebnis aus ihrer Sicht in einem Aufsatz wiedergeben, sorgten bei mir für einige Lachsalven.

Freunde von Ironie und Sarkasmus kommen bei diesem Buch voll auf ihre Kosten. Zwar beschreibt Carr eine Schulwelt, in welcher noch körperliche Züchtigung vorkommen und handlungsorientierter Unterricht noch eine revolutionäre Idee war, doch ist auch gerade das ein erhobener Zeigefinger: gerade so, wie wir heute über den Unterricht in den 70ern urteilen, könnte unser heutiger Unterricht bald als anthropologisch rückständig beurteilt werden. Und sind wir einmal ganz ehrlich: Digitalisierung hin, Digitalisierung her, auch unser moderner Unterricht bereitet die Schüler nicht im Mindesten auf die komplexe Lebenswelt vor, die sie jenseits von Quali, Mittlerer Reife und Abitur erwartet. Auch der sarkastische Blick auf die Bevorteilung der Sprösslinge bildungsnaher Schichten ist nach wie vor hochaktuell. Besonders in Bayern ist eine Abkehr von der unfairen Bildungslandschaft ja nicht in Sicht und besonders hier dürften einige „Großköpferte“, wie es bei uns so schön heißt, die Lektüre mal ins Auge fassen, um sich wieder ein paar neue Gedanken zum Thema Bildungsgerechtigkeit zu machen.

Mein Fazit: für Lehrer eigentlich ein Muss, für Eltern ein Anreiz zum Überdenken der eigenen Meinung und für alle einmal ein anderes Lesevergnügen.

Und hier noch meine Lieblingszitate aus dem Buch.

Unser unabhängiger Beobachter stellt fest, dass der leitende Beamte Mr. Tusker darunter leidet:
 … Papyrophobia (die Betroffenen tun so, als wäre ein aufgeräumter Schreibtisch eine Tugend, während sie es in Wahrheit nur nicht ertragen, an die Arbeit erinnert zu werden, die zu erledigen sie unfähig sind).

Eine reformpädagogisch orientierte Lehrerin der St. Nicholas-Schule zum Interims-Schuldirektor: 
„Nun, Sie gehören doch zu den Treuhändern, die mit gewissen Privilegien ausgestattet sind, damit sie im Gegenzug Englands Jugend auf diese Hühnerfabrik von einer Gesellschaft vorbereiten, in der wir leben, oder nicht?“

Emma Foxberrow darüber, ob Jesus die Stelle als Pfarrer wohl bekommen hätte: 
„Mit seinen dreißig Jahren wäre er zu jung gewesen. Außerdem stammte er aus der Arbeiterklasse, hatte keinen Uniabschluss, nie ein theologisches Seminar besucht und sprach bestimmt Dialekt.“

Buchcover - Die Lehren des Schuldirektors George Harpole
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2024 Anna Morgenroth
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