Vom Chaos und vom System

Viele Autorinnen haben schon darüber geschrieben, wie man zu einem Stoff und seinem Thema kommt. Ich mache hier mal nicht auf „Schreibtipps geben“. Das wäre ein bisschen „dreimalneunmalgescheit“, denn schließlich bin ich ja keine Größe des Literaturbusiness, die schon anderen Leuten sagen könnte, wie etwas geht. Autorentechnisch gesehen bin ich quasi maximal im Kleinkindalter angelangt. Trotzdem finde ich es faszinierend, dass mir sooooo viele Ideen durch den Kopf spucken. Und zwar – und das überrascht mich am allermeisten – so plötzlich. Bis zu jenem Tag, an dem ich entschied: „ich kann das und ich mach das auch“ habe ich mir nämlich immer eingeredet, dass ich vielleicht schreiben könnte, aber niemals einen Plot ausarbeiten könnte. Und just als ich diesen Punkt überwunden hatte und nach einem Thema suchte, war da ein Satz in meinem Kopf: Meine ersten Ideen gingen kreuz und quer. Zwischenzeitlich las ich die ersten Ratgeber, das verschaffte mir Zeit zum Ideensammeln. Der erste Plot war eigentlich kein Plot. Er bestand aus ein paar wirr angeordneten Notizen, die ich versucht hatte, in eine Reihenfolge zu bringen. Nur ein paar Meilensteine beim Schreiben. Dazu einiges an Recherche, viele Ratgeber und stapelweise aus der Bibliothek geliehene Bücher, um mich in Stimmung zu bringen. Ich merkte, dass ich unbändige Lust verspürte, nicht weiter zu plotten, sondern einfach darauf los zu schreiben. Und das Wunder geschah: während ich schrieb, kamen mir immer neue Ideen.

So war es auch beim zweiten Buch und ich denke, so werde ich es beibehalten. Denn es war einfach, als ob ich eine Gerölllawine losgetreten hätte. Plötzlich purzeln unaufhörlich die Ideen ganz unterschiedlicher Art. Ich möchte ganz ganz unbedingt einmal High Fantasy schreiben, das wäre ein Herzensprojekt. Auch wenn die Chancen auf eine Veröffentlichung bei High Fantasy eher gegen Null tendieren. Immer wieder kommen mir Ideen zu einem Katzenroman. Und mein Liam (das Kinderbuch) und Till (der Schulkrimi) können gerne noch andere Abenteuer und Fälle bestehen und lösen. Dazu ein Kinderbuch über Elefanten. Und und und …  Ich müsste allerdings mindestens 140 Jahre alt werden, um alles in einigermaßen geordneter Form zu plotten und niederzuschreiben. Zugegebenermaßen würde ich auch gerne 140 werden. Aber stattdessen muss ich mich aufgrund meiner Krebserkrankung ja damit auseinandersetzen, dass mein Leben kürzer sein könnte als ich das immer für mich selbst veranschlagt hatte. Deshalb trifft es sich ironischerweise auch gut, dass ich viele Ideen wieder verwerfe. Bei Lichte besehen waren sie einfach nicht tragfähig. So zum Beispiel hatte ich um das letzte Weihnachten herum die Idee, einen Protagonisten vor Weihnachten Schicht bei Amazon machen zu lassen. Der Job, der nur seine Kasse aufbessern sollte, macht aus dem angepassten Studenten einen Revoluzzer, der versucht, das ganze System zu zerstören. Also, sollte es hier irgendjemanden geben, der diese Idee gut findet, der darf sie sich gerne nehmen – *Ironie an*  ich stelle sie somit der Allgemeinheit ganz uneigennützig zur Verfügung *Ironie aus*.

Sollte ich trotzdem sehr alt werden und das bei einigermaßen guter geistiger Gesundheit, kann ich ja nochmal darüber nachdenken, ob nicht die ein oder andere der restlichen schlummernden Ideen trotzdem aus ihrer verstaubten Kiste geholt werden könnte.

Aber zurück zum eigentlichen Thema dieses Beitrags. Wahrscheinlich fragt sich hier schon mancher, wie ich nur ein Buch schreiben kann, wo ich schon beim Bloggen so zerstreut bin, dass ich ständig abweiche. Wie finde ich also meine Ideen? Zuerst ist immer ein Satz da. Ja ja ich weiß, das hat J. K. Rowling auch behauptet. Sie sah aber auch schon ihre Romanfigur vor dem inneren Auge. Das ist bei mir leider gar nicht der Fall. Im Gegenteil: ich habe meistens Schwierigkeiten, mich für eine Art „Mensch“ zu entscheiden, mich überhaupt für einen Protagonisten zu entscheiden. Bei Liam war ich des Längeren der Meinung, dass einer der Zwillinge der Protagonist oder die Protagonistin ist. Erst als ich wirklich zu schreiben begann, merkte ich, dass die Geschichte so nicht funktioniert. Ich verhedderte mich mit den Familienverhältnissen, bis ich alles umwarf. Von da an „lief“ die Geschichte auch.

Irgendwann zwei Jahre später hatte ich die glorreiche Idee, dass so chaotische Menschen wie ich vielleicht einfach ein Autorenprogramm zu Rate ziehen sollten. Gesagt, getan. Und ich muss sagen, yes! Es bringt mir etwas. Ich muss jetzt nicht mehr in meinem Karteikasten nach der Karte suchen, auf der die Haarfarbe der Nebenfigur XY vermerkt ist. Die ich wahrscheinlich im Karteikasten gar nicht finde, weil ich es nie aufgeschrieben habe, sondern immer nur vorhatte, alles systematisch aufzuschreiben. Im Autorenprogramm habe ich vom ersten Moment an ein Figurenblatt, ein Requisitenblatt, ein Schauplatzblatt und diverse Notizzettel. Das lässt den größten Chaoten plötzlich etwas ordentlicher werden. Und obwohl ich schon ein bisschen resigniert habe, muss ich sagen: ich spare mir sehr viel Zeit. Denn selbst wenn man resigniert und einfach akzeptiert, dass man eine Chaotin ist, regt einen die Sucherei irgendwann auf.

Mittlerweile sammle ich übrigens auch Ideen und lege „Ideenordner“ an, und das ist für mich „Chaoten“ schon ein Versuch, dem Chaos ein gewisses System überzustülpen. Letztendlich habe ich aber trotz Autorenprogramm einfach kapituliert: aus mir wird niemals eine geordnet vorgehende Autorin werden. Dazu ist mein Chaos viel zu produktiv. Und leider macht es mir auch viel zu viel Spaß.

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